Programm – Oktober 2016

Sa. 8.Oktober, 19:00 – Offene  Diskussionsrunde
Fr. 21.Oktober, 19:30 – “CaraCremada” (Film)
Do. 13.Oktober, 19:30 – Geschlechterrollen, Herrschaft & Revolution (Textdiskussion)
Mi. 26.Oktober, 19:30 – Über die Situation in der Türkei (Präsentation & Diskussion)
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OFFENE DISKUSSIONSRUNDE
Diskussion
Samstag 8.Oktober, 19:00
Ein Abend ohne vorgegebenen thematischen Rahmen, einfach ein offener Raum, um über das zu reden, was uns gerade beschäftigt: zusammen einen kritischen Blick auf die Geschehnisse in der Welt werfen, über aktuelle Ereignisse von hier und anderswo diskutieren oder einfach Gedanken und Ideen teilen, die man schon lange einmal aufs Tablett bringen wollte.

GESCHLECHTERROLLEN, HERRSCHAFT & REVOLUTION
Input & TextDiskussion
Donnerstag 13.Oktober, 19:30
«Männern wurde bis heute mehr Spielraum zugestanden ihren Willen (…) durchzusetzen als Frauen, was eine nachvollziehbare Erklärung dafür ist, warum es unter Anarchisten, Revolutionären und Gesetzlosen mehr Männer als Frauen gegeben hat. Frauen, die starke, rebellische Individuen waren, waren dies genau aus dem Grund, weil sie sich über ihre Weiblichkeit hinweggesetzt haben.»
Kurzer Input und anschliessend Diskussion ausgehend vom Text «Jenseits von Feminismus, jenseits von Geschlecht«, entnommen aus dem Buch Wolfi Landstreicher – Eigenwilliger Ungehorsam. [Ganzer Text weiter unten.]

“CARACREMADA“
Film (Spanisch mit Untertiteln)
Freitag 21.Oktober, 20:00
Am Ende des zweiten Weltkriegs wurden die Pyrenäen von anarchistischen Guerillagruppen der in Toulouse exilierten Spanischen C.N.T.infiltriert, um das Franco-Regime zu bekämpfen.
1951, nach sechs Jahren fruchtlosen Kämpfens, etablierte die libertäre Organisation einen Wechsel in der Taktik und zog ihre Aktionsgruppen angesichts der Repression seitens der faschistischen Armee und des Schweigens des demokratischen Westens zurück.
Einige Widerständler gehorchten nicht und führten denKampf alleine fort.

ÜBER DIE SITUATION IN DER TÜRKEI
Präsentation & Diskussion
Mittwoch 26.Oktober, 19:30
An diesem Abend wird zuerst ein Gefährte über die angespannte, schwierige Situation im Territorium des türkischen Staates, wo seit dem Putsch der Ausnahmezustand verhängt ist, informieren. Ebenso über die Politik der Türkei in Bezug auf Syrien. Anschliessend soll es eine Diskussion über diese Situation und auch darüber, was sie für uns hier bedeutet, geben.
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JENSEITS VON FEMINISMUS, JENSEITS VON GESCHLECHT
[Entnommen aus: Wolfi Landstreicher, Eigenwilliger Ungehorsam. Eine Textsammlung aus der anarchistischen Zeitschrift Wilful Disobedience. 2016; Erhältlich im Fermento, 6.-]
Um eine Revolution zu kreieren, die fähig ist jede Herrschaft zu beenden, ist es notwendig, der Tendenz, der wir uns alle unterwerfen müssen, ein Ende zu bereiten. Dies erfordert, dass wir einen unbarmherzigen und eindringlichen Blick auf die Rollen werfen, welche die Gesellschaft uns auferlegt, auf der Suche nach ihren Schwachstellen, mit dem Ziel ihre Beschränkungen zu durchbrechen und über sie hinauszugehen.
Die Sexualität ist ein wesentlicher Ausdruck von individuellen Verlangen und Leidenschaften, der Flamme, die beides, Liebe sowie auch Revolte entzünden kann. Daher kann sie eine wichtige Kraft des Willens eines Individuums sein, die es als einzigartiges und unzähmbares Wesen aus der Masse heraustreten lässt. Das Geschlecht andererseits ist ein von der sozialen Ordnung errichtetes Konstrukt, um diese sexuelle Energie einzuschränken, einzusperren, zu begrenzen und in Richtung der Reproduktion dieser Ordnung der Herrschaft und Unterwerfung zu lenken. Folglich ist es ein Hindernis für einen Versuch, frei darüber zu bestimmen, wie man selbst leben und sich auf andere beziehen will. Dennoch wurde Männern bis heute mehr Spielraum zugestanden, ihren Willen, innerhalb dieser Rollen, durchzusetzen, als Frauen; was eine nachvollziehbare Erklärung dafür ist, warum es unter Anarchisten, Revolutionären und Gesetzeslosen mehr Männer als Frauen gegeben hat. Frauen, die starke, rebellische Individuen waren, waren dies genau aus dem Grund, weil sie sich über ihre Weiblichkeit hinweggesetzt haben.
Es ist bedauerlich, dass die in den 1960er Jahren wieder auftauchende Frauenbefreiungsbewegung nicht erfolgreich war, eine tiefgreifende Analyse der Natur der Herrschaft in ihrer Totalität und der Rolle, die Geschlecht für ihre Reproduktion spielte, zu entwickeln. Eine Bewegung, die ausgehend vom Verlangen begonnen wurde, frei von Geschlechterrollen zu sein, um zu vollständigen, selbstbestimmten Individuen zu werden, wurde, wie die meisten Teilbereichskämpfe dieser Zeit, in eine Spezialisierung verwandelt. Dies garantierte, dass eine vollständige Analyse in diesem Kontext nicht möglich sein würde.
Diese Spezialisierung ist der Feminismus der gegenwärtigen Ära, der sich aus der Frauenbefreiungsbewegung der späten 60er Jahre zu entwickeln begann. Er zielt nicht so sehr auf die Befreiung individueller Frauen von den Beschränkungen ihrer Geschlechterrollen ab, als auf die Befreiung der „Frau“ als eine soziale Kategorie. In der Mainstreampolitik besteht dieses Projekt aus dem Erlangen von Rechten, der Anerkennung und dem Schutz der Frau als gesetzlich anerkannte soziale Kategorie. In der Theorie geht der radikale Feminismus über reine Rechtlichkeiten hinaus, mit dem Ziel der Befreiung der Frau, als soziale Kategorie, von männlicher Herrschaft. Da männliche Herrschaft, selbst von Anarcha-Feministinnen, nicht ausreichend als Aspekt totaler Herrschaft untersucht wird, nimmt die Rethorik des radikalen Feminismus häufig einen Stil an, der dem nationaler Befreiungsbewegungen ähnlich ist. Doch trotz der Unterschiede in Stil und Rhetorik läuft die Praxis von radikalem und Mainstream-Feminismus oft auf das gleiche hinaus. Das ist kein Zufall.
Die Spezialisierung des radikalen Feminismus besteht in der Katalogisierung des Unrechts, das Frauen durch Männer erleiden. Sollte dieser Katalog je vollendet werden, so wäre die Spezialisierung nicht länger nötig und die Zeit gekommen, über diese Auflistung von Unrecht hinaus tatsächlich zu versuchen, die Natur der Unterdrückung von Frauen in dieser Gesellschaft zu analysieren und durch reales, durchdachtes Handeln zu beenden. Das Beibehalten dieser Spezialisierung erfordert also, dass Feministen diesen Katalog endlos erweitern, sogar bis zu dem Punkt, an dem unterdrückerisches Handeln von Frauen in Machtpositionen zum Ausdruck patriarchaler Macht erklärt wird, was diese Frauen von der Verantwortung für ihr Handeln befreit. Jede ernsthafte Analyse der komplexen Herrschaftsverhältnisse, wie sie tatsächlich existieren, wird zugunsten einer Ideologie beiseite gelegt, in der Männer herrschen und Frauen Opfer dieser Herrschaft sind. Nun schafft aber die Kreation einer eigenen Identität auf Basis der eigenen Unterdrückung, der Viktimisierung die man erlitten hat, weder Stärke noch Unabhängigkeit. Stattdessen erzeugt sie ein Bedürfnis nach Schutz und Sicherheit, welches das Verlangen nach Freiheit und Selbstbestimmung zurückdrängt. Auf theoretischem und psychologischem Gebiet mag eine abstrakte, universelle „Schwesterlichkeit“ dieses Bedürfnis befriedigen, aber um eine Grundlage für diese „Schwesterlichkeit“ zu bieten, wird die „feministische Mystik“ – ein in den 1960ern aufgedecktes, die männliche Herrschaft stützendes, kulturelles Konstrukt – in Form von weiblicher Spiritualität, einer Religion der Göttin und einer Vielzahl anderer feministischer Ideologien, wiederbelebt. Der Versuch die Frau, als soziale Kategorie, zu befreien erreicht seinen Höhepunkt in der Neuerschaffung der weiblichen Geschlechterrolle im Namen einer schwer zu fassenden Geschlechter-Solidarität. Die Tatsache, dass viele radikale Feministinnen sich, wenn es um Schutz auf praktischer Ebene ging, an Bullen, Richter und andere staatliche Programme wendeten (darin den Mainstream-Feminismus imitierend), kann die illusorische Natur der von ihnen proklamierten „Schwesterlichkeit“ nur unterstreichen. Obwohl es innerhalb feministischen Kontexts Bemühungen gab, diese Beschränkungen zu überwinden, bildete diese Spezialisierung drei Jahrzehnte lang das bestimmende Merkmal des Feminismus. In den Formen, in denen er praktiziert wurde, konnte er weder für Geschlechterrollen noch für die Herrschaft eine revolutionäre Herausforderung darstellen. Das anarchistische Projekt der totalen Befreiung ruft uns dazu auf, über diese Beschränkungen hinaus zu dem Punkt zu kommen, das Geschlecht selbst mit dem Ziel anzugreifen, vollkommene Wesen zu werden, die nicht als Ansammlung sozialer Identitäten, sondern als einzigartige Individuen definiert werden.
Es ist sowohl ein Klischee, als auch falsch, zu behaupten, dass Männer und Frauen gleichermassen durch ihre Geschlechterrolle unterdrückt werden. Die männliche Geschlechterrolle erlaubt einen grösseren Spielraum den eigenen Willen durchzusetzen. Ebenso wie es für Frauen bei der Befreiung von ihren Geschlechterrollen nicht darum geht, männlicher zu werden, sondern vielmehr darum, sich über ihre Weiblichkeit hinwegzusetzen, ist es für Männer nicht der Punkt, femininer zu werden, sondern über ihre Männlichkeit hinauszugehen. Es geht darum, das Innerste der Einzigartigkeit zu entdecken, die in jedem von uns steckt, und jenseits aller gesellschaftlichen Rollen liegt und sie zum Ausgangspunkt für unser Handeln, Leben und Denken zu machen, im sexuellen Bereich wie in allen anderen auch. Das Geschlecht trennt die Sexualität von der Ganzheit unseres Seins, versieht sie mit spezifischen Wesenszügen, die der Aufrechterhaltung der gegenwärtigen Ordnung dienen. So wird die sexuelle Energie, die ein überwältigendes revolutionäres Potenzial haben könnte, in die Reproduktion der Beziehungen von Herrschaft, Unterwerfung, Abhängigkeit und Verzweiflung gelenkt. Das dadurch produzierte sexuelle Elend, und dessen kommerzielle Verwertung umgeben uns. Was den Aufruf an die Menschen, „zugleich ihre Maskulinität und ihre Femininität zu begrüssen“ so unangemessen macht, liegt in der mangelnden Analyse des Ausmasses begründet, welche nicht erkennt, dass die beiden Konzepte als soziale Erfindungen den Zwecken der Macht dienen. Daher ist es aus einer revolutionären Perspektive nutzlos, die Natur der Geschlechterrollen zu ändern, ihre Anzahl zu erhöhen oder ihre Form zu modifizieren, was nicht mehr heisst, als die Form der Kanäle mechanisch anzupassen, die unsere sexuelle Energie kanalisieren. Statt dessen müssen wir uns unsere sexuelle Energie wieder aneignen, um sie wieder in die Totalität unseres Seins zu integrieren, um derart expansiv und kraftvoll zu werden, dass wir jeden Kanal sprengen und die Ebenen der Existenz mit unserem unbeherrschbaren Sein überfluten. Dies ist keine therapeutische Aufgabe, sondern vielmehr eine herausfordernde Revolte – eine, die einem starken Willen und einer Verweigerung des Nachgebens entspringt. Wenn es unser Verlangen ist, jede Herrschaft zu zerstören, dann ist es notwendig, dass wir uns über all das hinwegsetzen, was uns zurückhält, über Feminismus, ja, und über unser Geschlecht, denn das ist, wo wir die Fähigkeit finden, unsere unbeherrschbare Individualität zu schaffen, die sich ohne zögern gegen jede Herrschaft erhebt. Wenn wir die Logik der Unterwerfung zerstören wollen, muss das unser minimalstes Ziel sein.

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MONATSPROGRAMM AUGUST 2016

Mittwoch, 10. August: Textdiskussion – Das Internet und Selbstorganisation

Donnerstag, 18. August: Buchvorstellung – Eigenwilliger Ungehorsam


Textdiskussion

Mittwoch 10. August, 20:00

Das Internet und Selbstorganisation

Wir wollen an diesem Abend, anhand des untenstehenden Textes, über „Internet und Selbstorganisation“ diskutieren. Der Text ist auch im englischen Original erhältlich. Als ergänzende Lektüre ist das Dossier „Kommunikation im digitalen Zeitalter“ in Die Erstürmung des Horizonts, Ausgabe 2 [erhältlich im Fermento], empfehlenswert, welches einen ähnlichen Themenkreis behandelt.
Diskussion auf Deutsch und/oder Englisch.


Das Internet und Selbstorganisation

Die aktuelle Restrukturierung der kapitalistischen gesellschaftlichen Beziehungen begann sich mit dem Aufstieg des «Informationszeitalters» zu entwickeln, zum grössten Teil aufgrund des Wachstums von kybernetischen und darauf bezogenen Technologien, weshalb es nicht überraschend ist, dass der Widerstand gegen den Kapitalismus diese Werkzeuge für seine eigenen Zwecke benutzt. Was möglicherweise überraschend ist, oder zumindest beunruhigend, ist das Ausmass, in dem diese Werkzeuge, ohne jegliche kritische Prüfung der Prozesse, die diese Technologien produzieren, noch der Natur der Art der Kommunikation und Organisation, die diese erlauben, umarmt wurden. Tatsächlich ist es selbst in anarchistischen Kreisen nicht ungewöhnlich, Lobreden für das Internet anzutreffen, die den Eindruck hinterlassen, dass es diese Technologie ist, die die Organisation der gegenwärtigen Kämpfe möglich machte, was es der gegenwärtigen «antikapitalistischen» Bewegung erlaubte, sich zu entwickeln. Manchmal erreicht dieser Lobgesang ein solches Level, dass es das Internet in eine Ikone, ein Symbol des revolutionären Kampfes zu verwandeln scheint. Aber, den radikalen Technofetischisten zum Verdruss, fehlt dem Computer die Romantik des Maschinengewehrs, Ikone so vieler Revolutionäre der 1970er.

Auf jeden Fall ist solch überschwängliche Lobpreisung eines spezifischen Werkzeugs sicherlich seltsam, speziell wenn es ein so integraler Teil der gegenwärtigen gesellschaftlichen Ordnung ist. Das Internet hat keine Verbindung irgendwelcher Art zur Entwicklung von selbstorganisierten, autonomen Beziehungen, und, aus einer anarchistischen Perspektive, sind solche Beziehungen zentral für den Kampf gegen diese Welt. Das Internet ist genau genommen ein System, das entwickelt wurde, um spezifischen Anforderungen des Kapitals und des Staates zu dienen, es ist also wahnhaft, zu denken, dass es freie Interaktion und Assoziation erlaube. Seine Form verleitet zur Degradierung des Wissens zu (viel marktfähigeren) Bits von Information, des Denkens zu binärer Logik, der Beziehungen zu virtueller Kommunikation – so, wie das Maschinengewehr zum Töten verleitet.

Dies nicht, um zu leugnen, dass das Internet, innerhalb des gegenwärtigen gesellschaftlichen Kontexts, Anarchisten als nützliches Werkzeug dienen kann. Man kann Informationen über Kämpfe, Aktionen und staatliche Repression rund um die Welt finden; man kann sich relativ unverzügliche Kommunikation verfügbar machen, oft ohne Kosten, die Mittel zur Koordination spezifischer Initiativen bieten könnten. Aber dies ist ausserhalb des Kontexts eines realen laufenden Kampfes gegen das Existierende, gegen das gesamte Netzwerk von Institutionen, die unsere Leben beherrschen, bedeutungslos. So wie ich es sehe, würde dies einen Kampf gegen die Art der gesellschaftlichen Beziehungen, die das Internet und das technologische System, von dem es abhängt, produziert haben, bedeuten.

Aber diejenigen innerhalb der antikapitalistischen Kreise, die das Internet so überschwänglich gepriesen haben, haben es als viel mehr als ein Werkzeug betrachtet. Für sie ist es die Basis eines weltweiten Kampfes, der nicht-hierarchisch ist und zu einer „wahrhaft demokratischen“ Welt führen kann. Sie ignorieren die systematische Kontrolle von Beziehungen, die der Technologie innewohnend sind, was sie von Natur aus hierarchisch macht. Sie ignorieren die Hierarchie, die der Demokratie selbst innewohnt. Aber vor allem ignorieren sie die Geschichte des Kampfes der Ausgebeuteten gegen diese Realität. Das Internet ist eine sehr moderne technologische Innovation, nicht älter als eine Generation, und Revolten gegen Herrschaft und Ausbeutung hat es seit der Zeit, in der die zivilisierte Ordnung entstand, gegeben. In der Hitze solcher Gefechte waren die Leute immer fähig, Wege der Kommunikation mit anderen im Kampf zu erschaffen, Wege die, auch wenn technisch weniger unverzüglich als das Internet, viel unmittelbarer und wahrhaft autonom waren. Es war selbstorganisierte Kommunikation, oft von Angesicht zu Angesicht.

Als integraler Teil der kybernetischen technologischen Kontrolle ist das Internet kein Ausdruck von Selbstorganisation und kann es auch nicht sein. Es ist qualitativ verschieden von einer autonomen Versammlung, einer Affinitätsgruppe oder einer umherziehenden Gruppe von aufständischen Proletariern, die auf dem Weg sind, sich mit anderen Aufständischen zu treffen, um Kämpfe zu koordinieren. Der Unterschied ist einfach zu erklären. Wenn wir das Internet zur Basis der Koordination unserer Kämpfe, des Kommunizierens unserer Projekte, Aktionen und Träume machen, dann beginnen unsere Kämpfe, unsere Projekte und alles, was sie inspiriert, von einer solchen Art zu werden, die sich durch das Internet kommunzieren lässt – das heisst: zu Projekten, Kämpfen und Träumen die auf austauschbare Bits von Informationen heruntergebrochen werden können, wo Leute, ihre Leidenschaften und ihre Wünsche von geringem Belang sind, ausser insofern, als sie dazu nützlich sind, marktfähige Bytes zu produzieren. Das weil die Art der Kommunikation und Koordination, die durch das Internet passieren kann, schon organisiert wurde, bevor wir beginnen sie zu nutzen, und weil sie nicht in unserem Interesse organisiert wurde, sondern vielmehr in den Interessen der gesellschaftlichen Ordnung der Herrschaft. Die Abhängigkeit von dem, was ohnehin schon vom eigenen Feind organisiert wurde, hat zwei beachtliche negative Effekte für den eigenen Kampf: es untergräbt die eigene schöpferische Vorstellung und praktische Intelligenz – die eigne Kapazität zur Selbstorganisation – und es macht einen in der Koordination des eigenen Kampfes abhängig vom eignen Feind, was das eigene Vermögen, den Feind heftig zu treffen, untergräbt.

Diejenigen von uns, die eine Welt frei von Herrschaft und Ausbeutung wünschen, und daher den Staat, das Kapital und die ganze Ansammlung von Institutionen, die uns regieren, zu zerstören beabsichtigen, müssen ihre Kämpfe autonom organisieren. Das bedeutet unsere eigenen Werkzeuge zum Kommunizieren und Koordinieren unserer Kämpfe zu erschaffen. Es ist notwendig, Beziehungen der Affinität zu entwickeln, die sich auf eine reale Kenntnis voneinander, von den Projekten, Ideen, Fähigkeiten, Träumen und Wünschen eines jeden stützen. Diese Beziehungen bieten die Basis, um Projekte der Aktion zu entwickeln, und, in einem grösseren Massstab, informelle Netzwerke der Solidarität. Verschiedene Treffen, Diskussionen, Periodikas und Papiere – autonom erschaffene Projekte – können unsere Analysen feinschleifen und helfen, unsere Kampfmethoden auszuarbeiten und unsere Tätigkeiten zu koordinieren. Aber die spezifischen Details sind nicht so wichtig wie die Notwendigkeit der Selbstorganisation unseres Kampfes. Nur mit dieser Basis können wir wissen, wie wir die Werkzeuge in unseren Händen verstehen sollen und sie für unsere Zwecke zu benutzen – die der Zerstörung der gegenwärtigen Gesellschaft und des Erschaffens unserer eigenen Leben in Freiheit. Im Kontext solchen selbstorganisierten Kampfes mag das Internet ein nützliches Werkzeug sein, aber nicht mehr als das, und nur eins unter vielen – eins, von dem ich sagen würde, dass es bestimmt ist, mit der Gesellschaft, die es hervorgebracht hat, unterzugehen. Und inmitten eines realen Aufstands, wenn die unmittelbare Kommunikation essenziell wäre, würden wir an einem Tisch vor einem Bildschirm sitzen wollen? Oder draussen sein, wo der reale Kampf vor sich geht?

[Original: The Internet and Self-Organisation, übersetzt aus: Willful Disobedience Volume 2, number 9, 2001]


Buchvorstellung

Donnerstag 18. August, 20:00

Eigenwilliger Ungehorsam
von Wolfi Landstreicher

An diesem Abend wird das Buch Eigenwilliger Ungehorsam von Wolfi Landstreicher vorgestellt. Das Buch ist die Übersetzung einer Sammlung von Artikeln, die von 1996-2005 von Wolfi in der amerikanischen, anarchistischen Zeitung Willful Disobedience veröffentlicht wurden. In einer einfachen Sprache kritisiert Wolfi darin die verschiedenen Institutionen der Herrschaft, und versucht darin „jeder Form von Autorität die Selbstbestimmung der Individuen, die jede Herrschaft verweigern“ gegenüberzustellen. „Staat, Kapital, Arbeit, Technologie, Religion, Bildung, Ideologie, Gesetz“ und mehr werden darin einer Kritik unterzogen. „Widerstand dagegen beginnt, wenn wir als Individuen in eigenwilligem Ungehorsam dagegen aufbegehren und anfangen, all die Institutionen der Herrschaft anzugreifen und zu zerstören, nicht als ein Zweck, sondern für uns selbst, weil wir unsere eigenen Spiele erschaffen wollen…“ Wir wollen das Buch kurz vorstellen, einige Auszüge daraus vorlesen und im Anschluss darüber diskutieren.

Das Buch ist in der anarchistischen Bibliothek Fermento käuflich.

Wolfi Landstreicher, Eigenwilliger Ungehorsam. Eine Textsammlung aus der anarchistischen Zeitung Willful Disobedience. Edition Irreversibel, Frühjahr 2016. 390 Seiten. Preis: ca. 6.-

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Film: Winterdieb: Mittwoch 27. Juli 2016; 20:00

Film

Winterdieb

Mittwoch, 20:00 Uhr

Der zwölfjährige Simon fährt im Winter mit einer kleinen Seilbahn vom Industriegebiet im Tal, wo er allein mit seiner Schwester Louise in einer hässlichen Blockwohnung lebt, in das prächtige, höher gelegene schweizer Skigebiet. Dort stiehlt er reichen Touristen Skier und Ausrüstung, um sie an die Kinder seines Wohnblocks zu verticken… Die weitere Geschichte handelt vom Überlebenskampf in der Armut, der direkt neben der heilen Welt der Touristen existiert. Eine realistisches Drama, das Klassengegensätze und ein Elend thematisiert, das ansonsten gerade hier in der Schweiz nur allzu gern übergangen und ignoriert wird.

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Monatsprogramm Juni 2016

Der König von Bastøy – Film (norw. Ut: Frz.) – mi 15. JUni., 19:00
Die anarchistische Bewegung von Lyon Ende 19. Jahrhundert – Vortrag und Diskussion -sa 25. JUni, 19:00
Das Mosaik des nahen Ostens – Diskussion – sa. 2. JUli, 19:00

DER KÖNIG VON BASTØY

Film (Norwegisch, Untertitel: Deutsch.)
Mittwoch 15. Juni, 19:00

Eine Gruppe straffälliger Jugendlicher lebt auf einer katholischen Gefängnisinsel, der norwegischen Bastøy, unter dem strengen Regime und den täglichen Demütigungen der Aufseher. Als ein aufmüpfiger Heran- wachsender im Lager ankommt, der sich zu wehren beginnt, wagen auch einige seiner Leidensgenossen den Widerstand. Mitten im unerbittlich kalten Winter starten die Insassen eine Meuterei, wie hoffnungslos sie auch scheinen mag, um ihre Würde zu- rückzuerobern.

DIE ANARCHISTISCHE BEWEGUNG VON LYON ENDE 19. JAHRHUNDERT

Präsentation und Diskussion (Englisch/Deutsch)
Samstag 25. Juni, 19:00

Ende 19. Jahrhundert, nach dem Fall der Pariser Kommune (1871) und unter der Repression gegen die aufständischen Bewegungen in verschiedenen Städten Frankreichs, ist Lyon, durch die besonde- re geografischen Lage, zu einem Herd für die anarchistische Agitation und Idee in Frankreich geworden. Die Absicht dieses Vortrags, durch eine Kontextualisierung und den Zugriff auf die anarchistischen Zeitungen dieser Zeit (aufindbar im Archiv der Bibliothek Fermento), ist es weniger, von einer weit zurückliegenden historischen Erfahrung zu sprechen, sondern, über die Probleme und Fragen zu sprechen, mit denen sich die Anarchisten von Lyon konfrontiert sahen, Probleme, die überraschenderweise, obwohl nun fast 150 Jahre vergangen sind, nicht so verschieden sind von den Problemen, mit denen wir uns heute konfrontiert sehen.

DAS MOSAIK DES NAHEN OSTENS

Diskussion
Samstag 2. Juli, 19:00

Einmal mehr sehen sich die Länder des Na- hen Ostens im Brennpunkt internationaler Ränkespiele und in einer Situation extremer Spannungen. Dieses Gebiet, ein reichhaltiges Mosaik aus Geschichten und Kulturen, aber auch aus Kriegen und Massakern, wird wohl auch in den kommenden Jahren keine Ruhe kennen. Von der verbrannten Erde des syrischen Bürgerkriegs, der von verschiedenen Machtinteressen gefördert wurde, um eine revolutionäre Bewegung unter sich zu begraben; über die kurdischen Befreiungsbestrebungen zwischen Syrien, Iran, Irak und einer immer faschistischeren Türkei; bis zum nie enden wollenden Leidensweg der Palästinenser, die seit Generationen unter militärischer Besatzung noch immer revoltieren. Wie können wir die gegenwärtigen Entwicklungen im Nahen Osten interpretieren? Wie ist die zunehmende Islamisierung zu bewerten?Was sind die Interessen, die im Spiel sind? Wie sind diese Interessen mit den herrschenden Klassen unserer Breitengrade verknüpft? Wie können wir den aufständischen und antistaatlichen Bewegungen zur Seite stehen?
[Wir empfehlen zu dieser Diskussion die Lektüre des Textes Insurrektionalistische Antiautoritäre Internationale im gleichnamigen Buch, das auch im Fermento erhältlich ist.]

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Syriens verbrannte Erde
BUCHREZENSION

[Leila al-Shami und Robin Yassin-Kassab, Burning Country. Syrians in Revolution and War, 262 Seiten, London 2016]

Wohl der bisher best dokumentierte Bericht und eine der schärfsten Analysen über die Wenden und Wirrungen der syrischen Revolution. Während die revoluti- onäre Linke des Westens auf Rojava blickt, meist völlig unkritisch eine Partei-Re- volution bejubelnd, sah sich der Rest der syrischen Revolution, der keine interna- tionale Lobby für sich hatte, meist mit einfachen Stereotypen abgefertigt und unter geringer Beachtung abgeschlachtet. Eine gewiss nicht leichte Lektüre für das Herz, zeigt dieses Buch auf, wie ein von einem generalisierten Aufstand bedrohtes Regime sich aufrechterhält, indem es alle Karten der Macht ausspielt: die Propagan- da von Falschinformationen, das Gegeneinander-Ausspielen von religiösen und ethnischen Gruppierungen, die Verwandlung des Aufbegehrens in einen rein mili- tärischen Konflikt, und vor allem die Ermattung jedes Freiheitsverlangens durch unsägliche repressive Gewalt.
Ein Aufstand, der, inspiriert vom Ara- bischen Frühling, mit Forderungen nach Würde und Freiheit begann, unbeachtet der ethnischen oder sektiererischen Dif- ferenzen, wurde so, mit Erschiessungen, Bomben und Folter, immer mehr ins religiöse Martyrium getrieben, woraus Dschihadisten wie der Islamische Staat schliesslich ihren Profit zogen. Die syrischen Revolutionäre fanden sich zwischen allen Fronten wieder, gegen Assad sowie den IS, während noch dazu Russland und die USA heuchlerisch ihre Bomben auf meist ihre Gebiete fallen liessen. All das hat den Reihen des religiösen Fanatismus nur zu Gute kommen können.

Aber Leila und Robin verlieren sich nicht in einer oberflächlichen Gegenüber- stellung von Fraktionen und Ideologien, sondern sprechen in erster Linie von der Initiative der Leute: von den anfänglichen Protesten und Demonstrationen bis zum Aufbau von bewaffneten Milizen, um Ge- biete von den Regimekräften zu befrei- en und zu verteidigen, Gebiete, in denen ausgehend von Basisstrukturen (inspiriert von unter anderem dem syrischen Anar- chisten Omar Aziz) ein Gemeindeleben ohne den Staat organisiert wurde.

Sicher, es ist einfacher, sich in den abstrakten Idealen eines schön geordneten Laufs der Dinge zu verschliessen, als sich den Widersprüchen der Realität zu stellen, die mit ersteren eigentlich nie etwas zu tun haben, ganz besonders dann, wenn es um soziale Umwälzungen geht. Doch wer das gegenwärtige Mosaik von Konflikten im immer mehr vom staatlichen Zerfall gezeichneten Nahen Osten verstehen, und sich aber auch deren revolutionäre Entwicklungsmöglichkeiten zu Herzen nehmen will, wird nicht umhin kommen, sich mit der verbrannten Erde Syriens auseinanderzusetzen.

Um es mit den Worten der Autoren zu sagen: «Syrien zeigt ernstzunehmende Pro- bleme auf, die es von Revolutionären überall zu bedenken gilt. Erstens, Revolutionen sind in der wirklichen Welt (im Gegensatz zu Elfenbeintürmen) immer ein schmutziges Durcheinander. Sobald die Staatsmacht geschwächt ist, werden sich äussere Staatsinteressen ins Getümmel stürzen, im Bestreben, potentielle zukünftige Regierungen zu beeinflussen, mit rivalisierenden Staaten zu ringen, und revolutionäre Energien zu manipulieren, umzuformen und zu zähmen. Zweitens, Staaten – manchmal sogar vermeintlich feindliche Staaten – werden einander, direkt oder indirekt, zur Rettung kommen, sollte tatsächlich die Möglichkeit beste- hen, dass die Macht den Eliten aus den Händen gleitet. Drittens, oft wird ihnen dabei geholfen vonKommentatoren,einschliesslichvermeint- lichen “Linken” und “Andersgesinnten”, deren Fixierung auf Staaten sie dazu führt, Konflikte wie ein Schachspiel zwischen “besser” und “schlimmer” zu betrachten und die Leute zu ignorieren, die unter diesen Staaten leiden und gegen sie kämpfen.»
[Zuerst publiziert in Dissonanz, Nr. 25, Zürich]
[Das Buch ist in der anarchistischen Bibliothek Fermento erhältlich]

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