Programm – Oktober 2016

Sa. 8.Oktober, 19:00 – Offene  Diskussionsrunde
Fr. 21.Oktober, 19:30 – “CaraCremada” (Film)
Do. 13.Oktober, 19:30 – Geschlechterrollen, Herrschaft & Revolution (Textdiskussion)
Mi. 26.Oktober, 19:30 – Über die Situation in der Türkei (Präsentation & Diskussion)
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OFFENE DISKUSSIONSRUNDE
Diskussion
Samstag 8.Oktober, 19:00
Ein Abend ohne vorgegebenen thematischen Rahmen, einfach ein offener Raum, um über das zu reden, was uns gerade beschäftigt: zusammen einen kritischen Blick auf die Geschehnisse in der Welt werfen, über aktuelle Ereignisse von hier und anderswo diskutieren oder einfach Gedanken und Ideen teilen, die man schon lange einmal aufs Tablett bringen wollte.

GESCHLECHTERROLLEN, HERRSCHAFT & REVOLUTION
Input & TextDiskussion
Donnerstag 13.Oktober, 19:30
«Männern wurde bis heute mehr Spielraum zugestanden ihren Willen (…) durchzusetzen als Frauen, was eine nachvollziehbare Erklärung dafür ist, warum es unter Anarchisten, Revolutionären und Gesetzlosen mehr Männer als Frauen gegeben hat. Frauen, die starke, rebellische Individuen waren, waren dies genau aus dem Grund, weil sie sich über ihre Weiblichkeit hinweggesetzt haben.»
Kurzer Input und anschliessend Diskussion ausgehend vom Text «Jenseits von Feminismus, jenseits von Geschlecht«, entnommen aus dem Buch Wolfi Landstreicher – Eigenwilliger Ungehorsam. [Ganzer Text weiter unten.]

“CARACREMADA“
Film (Spanisch mit Untertiteln)
Freitag 21.Oktober, 20:00
Am Ende des zweiten Weltkriegs wurden die Pyrenäen von anarchistischen Guerillagruppen der in Toulouse exilierten Spanischen C.N.T.infiltriert, um das Franco-Regime zu bekämpfen.
1951, nach sechs Jahren fruchtlosen Kämpfens, etablierte die libertäre Organisation einen Wechsel in der Taktik und zog ihre Aktionsgruppen angesichts der Repression seitens der faschistischen Armee und des Schweigens des demokratischen Westens zurück.
Einige Widerständler gehorchten nicht und führten denKampf alleine fort.

ÜBER DIE SITUATION IN DER TÜRKEI
Präsentation & Diskussion
Mittwoch 26.Oktober, 19:30
An diesem Abend wird zuerst ein Gefährte über die angespannte, schwierige Situation im Territorium des türkischen Staates, wo seit dem Putsch der Ausnahmezustand verhängt ist, informieren. Ebenso über die Politik der Türkei in Bezug auf Syrien. Anschliessend soll es eine Diskussion über diese Situation und auch darüber, was sie für uns hier bedeutet, geben.
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JENSEITS VON FEMINISMUS, JENSEITS VON GESCHLECHT
[Entnommen aus: Wolfi Landstreicher, Eigenwilliger Ungehorsam. Eine Textsammlung aus der anarchistischen Zeitschrift Wilful Disobedience. 2016; Erhältlich im Fermento, 6.-]
Um eine Revolution zu kreieren, die fähig ist jede Herrschaft zu beenden, ist es notwendig, der Tendenz, der wir uns alle unterwerfen müssen, ein Ende zu bereiten. Dies erfordert, dass wir einen unbarmherzigen und eindringlichen Blick auf die Rollen werfen, welche die Gesellschaft uns auferlegt, auf der Suche nach ihren Schwachstellen, mit dem Ziel ihre Beschränkungen zu durchbrechen und über sie hinauszugehen.
Die Sexualität ist ein wesentlicher Ausdruck von individuellen Verlangen und Leidenschaften, der Flamme, die beides, Liebe sowie auch Revolte entzünden kann. Daher kann sie eine wichtige Kraft des Willens eines Individuums sein, die es als einzigartiges und unzähmbares Wesen aus der Masse heraustreten lässt. Das Geschlecht andererseits ist ein von der sozialen Ordnung errichtetes Konstrukt, um diese sexuelle Energie einzuschränken, einzusperren, zu begrenzen und in Richtung der Reproduktion dieser Ordnung der Herrschaft und Unterwerfung zu lenken. Folglich ist es ein Hindernis für einen Versuch, frei darüber zu bestimmen, wie man selbst leben und sich auf andere beziehen will. Dennoch wurde Männern bis heute mehr Spielraum zugestanden, ihren Willen, innerhalb dieser Rollen, durchzusetzen, als Frauen; was eine nachvollziehbare Erklärung dafür ist, warum es unter Anarchisten, Revolutionären und Gesetzeslosen mehr Männer als Frauen gegeben hat. Frauen, die starke, rebellische Individuen waren, waren dies genau aus dem Grund, weil sie sich über ihre Weiblichkeit hinweggesetzt haben.
Es ist bedauerlich, dass die in den 1960er Jahren wieder auftauchende Frauenbefreiungsbewegung nicht erfolgreich war, eine tiefgreifende Analyse der Natur der Herrschaft in ihrer Totalität und der Rolle, die Geschlecht für ihre Reproduktion spielte, zu entwickeln. Eine Bewegung, die ausgehend vom Verlangen begonnen wurde, frei von Geschlechterrollen zu sein, um zu vollständigen, selbstbestimmten Individuen zu werden, wurde, wie die meisten Teilbereichskämpfe dieser Zeit, in eine Spezialisierung verwandelt. Dies garantierte, dass eine vollständige Analyse in diesem Kontext nicht möglich sein würde.
Diese Spezialisierung ist der Feminismus der gegenwärtigen Ära, der sich aus der Frauenbefreiungsbewegung der späten 60er Jahre zu entwickeln begann. Er zielt nicht so sehr auf die Befreiung individueller Frauen von den Beschränkungen ihrer Geschlechterrollen ab, als auf die Befreiung der „Frau“ als eine soziale Kategorie. In der Mainstreampolitik besteht dieses Projekt aus dem Erlangen von Rechten, der Anerkennung und dem Schutz der Frau als gesetzlich anerkannte soziale Kategorie. In der Theorie geht der radikale Feminismus über reine Rechtlichkeiten hinaus, mit dem Ziel der Befreiung der Frau, als soziale Kategorie, von männlicher Herrschaft. Da männliche Herrschaft, selbst von Anarcha-Feministinnen, nicht ausreichend als Aspekt totaler Herrschaft untersucht wird, nimmt die Rethorik des radikalen Feminismus häufig einen Stil an, der dem nationaler Befreiungsbewegungen ähnlich ist. Doch trotz der Unterschiede in Stil und Rhetorik läuft die Praxis von radikalem und Mainstream-Feminismus oft auf das gleiche hinaus. Das ist kein Zufall.
Die Spezialisierung des radikalen Feminismus besteht in der Katalogisierung des Unrechts, das Frauen durch Männer erleiden. Sollte dieser Katalog je vollendet werden, so wäre die Spezialisierung nicht länger nötig und die Zeit gekommen, über diese Auflistung von Unrecht hinaus tatsächlich zu versuchen, die Natur der Unterdrückung von Frauen in dieser Gesellschaft zu analysieren und durch reales, durchdachtes Handeln zu beenden. Das Beibehalten dieser Spezialisierung erfordert also, dass Feministen diesen Katalog endlos erweitern, sogar bis zu dem Punkt, an dem unterdrückerisches Handeln von Frauen in Machtpositionen zum Ausdruck patriarchaler Macht erklärt wird, was diese Frauen von der Verantwortung für ihr Handeln befreit. Jede ernsthafte Analyse der komplexen Herrschaftsverhältnisse, wie sie tatsächlich existieren, wird zugunsten einer Ideologie beiseite gelegt, in der Männer herrschen und Frauen Opfer dieser Herrschaft sind. Nun schafft aber die Kreation einer eigenen Identität auf Basis der eigenen Unterdrückung, der Viktimisierung die man erlitten hat, weder Stärke noch Unabhängigkeit. Stattdessen erzeugt sie ein Bedürfnis nach Schutz und Sicherheit, welches das Verlangen nach Freiheit und Selbstbestimmung zurückdrängt. Auf theoretischem und psychologischem Gebiet mag eine abstrakte, universelle „Schwesterlichkeit“ dieses Bedürfnis befriedigen, aber um eine Grundlage für diese „Schwesterlichkeit“ zu bieten, wird die „feministische Mystik“ – ein in den 1960ern aufgedecktes, die männliche Herrschaft stützendes, kulturelles Konstrukt – in Form von weiblicher Spiritualität, einer Religion der Göttin und einer Vielzahl anderer feministischer Ideologien, wiederbelebt. Der Versuch die Frau, als soziale Kategorie, zu befreien erreicht seinen Höhepunkt in der Neuerschaffung der weiblichen Geschlechterrolle im Namen einer schwer zu fassenden Geschlechter-Solidarität. Die Tatsache, dass viele radikale Feministinnen sich, wenn es um Schutz auf praktischer Ebene ging, an Bullen, Richter und andere staatliche Programme wendeten (darin den Mainstream-Feminismus imitierend), kann die illusorische Natur der von ihnen proklamierten „Schwesterlichkeit“ nur unterstreichen. Obwohl es innerhalb feministischen Kontexts Bemühungen gab, diese Beschränkungen zu überwinden, bildete diese Spezialisierung drei Jahrzehnte lang das bestimmende Merkmal des Feminismus. In den Formen, in denen er praktiziert wurde, konnte er weder für Geschlechterrollen noch für die Herrschaft eine revolutionäre Herausforderung darstellen. Das anarchistische Projekt der totalen Befreiung ruft uns dazu auf, über diese Beschränkungen hinaus zu dem Punkt zu kommen, das Geschlecht selbst mit dem Ziel anzugreifen, vollkommene Wesen zu werden, die nicht als Ansammlung sozialer Identitäten, sondern als einzigartige Individuen definiert werden.
Es ist sowohl ein Klischee, als auch falsch, zu behaupten, dass Männer und Frauen gleichermassen durch ihre Geschlechterrolle unterdrückt werden. Die männliche Geschlechterrolle erlaubt einen grösseren Spielraum den eigenen Willen durchzusetzen. Ebenso wie es für Frauen bei der Befreiung von ihren Geschlechterrollen nicht darum geht, männlicher zu werden, sondern vielmehr darum, sich über ihre Weiblichkeit hinwegzusetzen, ist es für Männer nicht der Punkt, femininer zu werden, sondern über ihre Männlichkeit hinauszugehen. Es geht darum, das Innerste der Einzigartigkeit zu entdecken, die in jedem von uns steckt, und jenseits aller gesellschaftlichen Rollen liegt und sie zum Ausgangspunkt für unser Handeln, Leben und Denken zu machen, im sexuellen Bereich wie in allen anderen auch. Das Geschlecht trennt die Sexualität von der Ganzheit unseres Seins, versieht sie mit spezifischen Wesenszügen, die der Aufrechterhaltung der gegenwärtigen Ordnung dienen. So wird die sexuelle Energie, die ein überwältigendes revolutionäres Potenzial haben könnte, in die Reproduktion der Beziehungen von Herrschaft, Unterwerfung, Abhängigkeit und Verzweiflung gelenkt. Das dadurch produzierte sexuelle Elend, und dessen kommerzielle Verwertung umgeben uns. Was den Aufruf an die Menschen, „zugleich ihre Maskulinität und ihre Femininität zu begrüssen“ so unangemessen macht, liegt in der mangelnden Analyse des Ausmasses begründet, welche nicht erkennt, dass die beiden Konzepte als soziale Erfindungen den Zwecken der Macht dienen. Daher ist es aus einer revolutionären Perspektive nutzlos, die Natur der Geschlechterrollen zu ändern, ihre Anzahl zu erhöhen oder ihre Form zu modifizieren, was nicht mehr heisst, als die Form der Kanäle mechanisch anzupassen, die unsere sexuelle Energie kanalisieren. Statt dessen müssen wir uns unsere sexuelle Energie wieder aneignen, um sie wieder in die Totalität unseres Seins zu integrieren, um derart expansiv und kraftvoll zu werden, dass wir jeden Kanal sprengen und die Ebenen der Existenz mit unserem unbeherrschbaren Sein überfluten. Dies ist keine therapeutische Aufgabe, sondern vielmehr eine herausfordernde Revolte – eine, die einem starken Willen und einer Verweigerung des Nachgebens entspringt. Wenn es unser Verlangen ist, jede Herrschaft zu zerstören, dann ist es notwendig, dass wir uns über all das hinwegsetzen, was uns zurückhält, über Feminismus, ja, und über unser Geschlecht, denn das ist, wo wir die Fähigkeit finden, unsere unbeherrschbare Individualität zu schaffen, die sich ohne zögern gegen jede Herrschaft erhebt. Wenn wir die Logik der Unterwerfung zerstören wollen, muss das unser minimalstes Ziel sein.

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