MONATSPROGRAMM AUGUST 2016

Mittwoch, 10. August: Textdiskussion – Das Internet und Selbstorganisation

Donnerstag, 18. August: Buchvorstellung – Eigenwilliger Ungehorsam


Textdiskussion

Mittwoch 10. August, 20:00

Das Internet und Selbstorganisation

Wir wollen an diesem Abend, anhand des untenstehenden Textes, über „Internet und Selbstorganisation“ diskutieren. Der Text ist auch im englischen Original erhältlich. Als ergänzende Lektüre ist das Dossier „Kommunikation im digitalen Zeitalter“ in Die Erstürmung des Horizonts, Ausgabe 2 [erhältlich im Fermento], empfehlenswert, welches einen ähnlichen Themenkreis behandelt.
Diskussion auf Deutsch und/oder Englisch.


Das Internet und Selbstorganisation

Die aktuelle Restrukturierung der kapitalistischen gesellschaftlichen Beziehungen begann sich mit dem Aufstieg des «Informationszeitalters» zu entwickeln, zum grössten Teil aufgrund des Wachstums von kybernetischen und darauf bezogenen Technologien, weshalb es nicht überraschend ist, dass der Widerstand gegen den Kapitalismus diese Werkzeuge für seine eigenen Zwecke benutzt. Was möglicherweise überraschend ist, oder zumindest beunruhigend, ist das Ausmass, in dem diese Werkzeuge, ohne jegliche kritische Prüfung der Prozesse, die diese Technologien produzieren, noch der Natur der Art der Kommunikation und Organisation, die diese erlauben, umarmt wurden. Tatsächlich ist es selbst in anarchistischen Kreisen nicht ungewöhnlich, Lobreden für das Internet anzutreffen, die den Eindruck hinterlassen, dass es diese Technologie ist, die die Organisation der gegenwärtigen Kämpfe möglich machte, was es der gegenwärtigen «antikapitalistischen» Bewegung erlaubte, sich zu entwickeln. Manchmal erreicht dieser Lobgesang ein solches Level, dass es das Internet in eine Ikone, ein Symbol des revolutionären Kampfes zu verwandeln scheint. Aber, den radikalen Technofetischisten zum Verdruss, fehlt dem Computer die Romantik des Maschinengewehrs, Ikone so vieler Revolutionäre der 1970er.

Auf jeden Fall ist solch überschwängliche Lobpreisung eines spezifischen Werkzeugs sicherlich seltsam, speziell wenn es ein so integraler Teil der gegenwärtigen gesellschaftlichen Ordnung ist. Das Internet hat keine Verbindung irgendwelcher Art zur Entwicklung von selbstorganisierten, autonomen Beziehungen, und, aus einer anarchistischen Perspektive, sind solche Beziehungen zentral für den Kampf gegen diese Welt. Das Internet ist genau genommen ein System, das entwickelt wurde, um spezifischen Anforderungen des Kapitals und des Staates zu dienen, es ist also wahnhaft, zu denken, dass es freie Interaktion und Assoziation erlaube. Seine Form verleitet zur Degradierung des Wissens zu (viel marktfähigeren) Bits von Information, des Denkens zu binärer Logik, der Beziehungen zu virtueller Kommunikation – so, wie das Maschinengewehr zum Töten verleitet.

Dies nicht, um zu leugnen, dass das Internet, innerhalb des gegenwärtigen gesellschaftlichen Kontexts, Anarchisten als nützliches Werkzeug dienen kann. Man kann Informationen über Kämpfe, Aktionen und staatliche Repression rund um die Welt finden; man kann sich relativ unverzügliche Kommunikation verfügbar machen, oft ohne Kosten, die Mittel zur Koordination spezifischer Initiativen bieten könnten. Aber dies ist ausserhalb des Kontexts eines realen laufenden Kampfes gegen das Existierende, gegen das gesamte Netzwerk von Institutionen, die unsere Leben beherrschen, bedeutungslos. So wie ich es sehe, würde dies einen Kampf gegen die Art der gesellschaftlichen Beziehungen, die das Internet und das technologische System, von dem es abhängt, produziert haben, bedeuten.

Aber diejenigen innerhalb der antikapitalistischen Kreise, die das Internet so überschwänglich gepriesen haben, haben es als viel mehr als ein Werkzeug betrachtet. Für sie ist es die Basis eines weltweiten Kampfes, der nicht-hierarchisch ist und zu einer „wahrhaft demokratischen“ Welt führen kann. Sie ignorieren die systematische Kontrolle von Beziehungen, die der Technologie innewohnend sind, was sie von Natur aus hierarchisch macht. Sie ignorieren die Hierarchie, die der Demokratie selbst innewohnt. Aber vor allem ignorieren sie die Geschichte des Kampfes der Ausgebeuteten gegen diese Realität. Das Internet ist eine sehr moderne technologische Innovation, nicht älter als eine Generation, und Revolten gegen Herrschaft und Ausbeutung hat es seit der Zeit, in der die zivilisierte Ordnung entstand, gegeben. In der Hitze solcher Gefechte waren die Leute immer fähig, Wege der Kommunikation mit anderen im Kampf zu erschaffen, Wege die, auch wenn technisch weniger unverzüglich als das Internet, viel unmittelbarer und wahrhaft autonom waren. Es war selbstorganisierte Kommunikation, oft von Angesicht zu Angesicht.

Als integraler Teil der kybernetischen technologischen Kontrolle ist das Internet kein Ausdruck von Selbstorganisation und kann es auch nicht sein. Es ist qualitativ verschieden von einer autonomen Versammlung, einer Affinitätsgruppe oder einer umherziehenden Gruppe von aufständischen Proletariern, die auf dem Weg sind, sich mit anderen Aufständischen zu treffen, um Kämpfe zu koordinieren. Der Unterschied ist einfach zu erklären. Wenn wir das Internet zur Basis der Koordination unserer Kämpfe, des Kommunizierens unserer Projekte, Aktionen und Träume machen, dann beginnen unsere Kämpfe, unsere Projekte und alles, was sie inspiriert, von einer solchen Art zu werden, die sich durch das Internet kommunzieren lässt – das heisst: zu Projekten, Kämpfen und Träumen die auf austauschbare Bits von Informationen heruntergebrochen werden können, wo Leute, ihre Leidenschaften und ihre Wünsche von geringem Belang sind, ausser insofern, als sie dazu nützlich sind, marktfähige Bytes zu produzieren. Das weil die Art der Kommunikation und Koordination, die durch das Internet passieren kann, schon organisiert wurde, bevor wir beginnen sie zu nutzen, und weil sie nicht in unserem Interesse organisiert wurde, sondern vielmehr in den Interessen der gesellschaftlichen Ordnung der Herrschaft. Die Abhängigkeit von dem, was ohnehin schon vom eigenen Feind organisiert wurde, hat zwei beachtliche negative Effekte für den eigenen Kampf: es untergräbt die eigene schöpferische Vorstellung und praktische Intelligenz – die eigne Kapazität zur Selbstorganisation – und es macht einen in der Koordination des eigenen Kampfes abhängig vom eignen Feind, was das eigene Vermögen, den Feind heftig zu treffen, untergräbt.

Diejenigen von uns, die eine Welt frei von Herrschaft und Ausbeutung wünschen, und daher den Staat, das Kapital und die ganze Ansammlung von Institutionen, die uns regieren, zu zerstören beabsichtigen, müssen ihre Kämpfe autonom organisieren. Das bedeutet unsere eigenen Werkzeuge zum Kommunizieren und Koordinieren unserer Kämpfe zu erschaffen. Es ist notwendig, Beziehungen der Affinität zu entwickeln, die sich auf eine reale Kenntnis voneinander, von den Projekten, Ideen, Fähigkeiten, Träumen und Wünschen eines jeden stützen. Diese Beziehungen bieten die Basis, um Projekte der Aktion zu entwickeln, und, in einem grösseren Massstab, informelle Netzwerke der Solidarität. Verschiedene Treffen, Diskussionen, Periodikas und Papiere – autonom erschaffene Projekte – können unsere Analysen feinschleifen und helfen, unsere Kampfmethoden auszuarbeiten und unsere Tätigkeiten zu koordinieren. Aber die spezifischen Details sind nicht so wichtig wie die Notwendigkeit der Selbstorganisation unseres Kampfes. Nur mit dieser Basis können wir wissen, wie wir die Werkzeuge in unseren Händen verstehen sollen und sie für unsere Zwecke zu benutzen – die der Zerstörung der gegenwärtigen Gesellschaft und des Erschaffens unserer eigenen Leben in Freiheit. Im Kontext solchen selbstorganisierten Kampfes mag das Internet ein nützliches Werkzeug sein, aber nicht mehr als das, und nur eins unter vielen – eins, von dem ich sagen würde, dass es bestimmt ist, mit der Gesellschaft, die es hervorgebracht hat, unterzugehen. Und inmitten eines realen Aufstands, wenn die unmittelbare Kommunikation essenziell wäre, würden wir an einem Tisch vor einem Bildschirm sitzen wollen? Oder draussen sein, wo der reale Kampf vor sich geht?

[Original: The Internet and Self-Organisation, übersetzt aus: Willful Disobedience Volume 2, number 9, 2001]


Buchvorstellung

Donnerstag 18. August, 20:00

Eigenwilliger Ungehorsam
von Wolfi Landstreicher

An diesem Abend wird das Buch Eigenwilliger Ungehorsam von Wolfi Landstreicher vorgestellt. Das Buch ist die Übersetzung einer Sammlung von Artikeln, die von 1996-2005 von Wolfi in der amerikanischen, anarchistischen Zeitung Willful Disobedience veröffentlicht wurden. In einer einfachen Sprache kritisiert Wolfi darin die verschiedenen Institutionen der Herrschaft, und versucht darin „jeder Form von Autorität die Selbstbestimmung der Individuen, die jede Herrschaft verweigern“ gegenüberzustellen. „Staat, Kapital, Arbeit, Technologie, Religion, Bildung, Ideologie, Gesetz“ und mehr werden darin einer Kritik unterzogen. „Widerstand dagegen beginnt, wenn wir als Individuen in eigenwilligem Ungehorsam dagegen aufbegehren und anfangen, all die Institutionen der Herrschaft anzugreifen und zu zerstören, nicht als ein Zweck, sondern für uns selbst, weil wir unsere eigenen Spiele erschaffen wollen…“ Wir wollen das Buch kurz vorstellen, einige Auszüge daraus vorlesen und im Anschluss darüber diskutieren.

Das Buch ist in der anarchistischen Bibliothek Fermento käuflich.

Wolfi Landstreicher, Eigenwilliger Ungehorsam. Eine Textsammlung aus der anarchistischen Zeitung Willful Disobedience. Edition Irreversibel, Frühjahr 2016. 390 Seiten. Preis: ca. 6.-

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